Man findet Sachen, die man überhaupt nicht gesucht hat
Bahntechnische Erkundungen am und um den Übergabebahnhof Salzgitter Beddingen
Dank Internet gibt es hochinteressante Beschäftigungsmöglichkeiten. Eine davon ist das Anschauen von Eisenbahnvideos auf Youtube – genauer Führerstandsmitfahrten – wenn es mal wieder nichts intellektuell adäquates im Fernsehen gibt. Es kommt vor, dass man auf den virtuellen Reisen durch das bundesdeutsche Eisenbahnnetz an Gegenden in der Nähe vorbeikommt, die man bisher überhaupt nicht auf dem Zettel hatte. So fuhr der videobloggende Triebfahrzeugführer „CargoMichel“ irgendwann einmal aus Richtung Groß Gleidingen kommend in den Übergabebahnhof Salzgitter-Beddingen ein und hielt vorschriftsgemäß vor diesem Rangiersignal mit rätselhaftem Zusatzschild oben über dem Signalschirm (leider ist das Video nicht mehr öffentlich verfügbar):
Es gibt Nächte, da denkt man über sowas lange nach. Da das Gelände mit PKW offiziell nicht zugänglich ist, fand am darauf folgenden Tag zunächst einmal eine Ortsbefahrung mit Fahrrad statt. Am besten kommt man von Norden über Teufelsspring bei Stiddien über Feldwege an den Übergabebahnhof heran. Das Betreten des eigentlichen Betriebsgeländes ist selbstverständlich verboten und nicht empfehlenswert
Des Rätsels Lösung ließ mich wieder ruhig schlafen und fortan in bahninteressierten Kreisen brillieren:
Ein paar Fakten über den Übergabebahnhof Beddingen
Der Übergabebahnhof Beddingen wurde 1943 im Rahmen der Errichtung der Reichswerke Hermann Göring eröffnet. Er ist im Norden mit einem großen Gleisdreieck bei Groß Gleidingen mit der Hauptstrecke Braunschweig-Hannover/Hildesheim verbunden. Eisenerzzüge werden über das DB-Netz angeliefert und dann mit werkseigenen Loks für die Weiterverarbeitung in das Stahlwerk gefahren – umgekehrt die Erzeugnisse des Stahlwerks zu den einzelnen Güterumschlagplätzen. Auch zum angrenzenden Motorenwerk des Volkswagenkonzerns besteht ein Gleisanschluss. Bis in die späten 80er-Jahre des letzten Jahrhunderts bestand eine Nebenbahn über Salzgitter-Drütte und -Fümmelse nach Wolfenbüttel, auf der bis Ende der 50er-Jahre auch Personenverkehr betrieben wurde – die ehemalige Kursbuchstrecke KBS206 in verschiedenen Varianten (a-f). Heute gehört die Anlage zu den Verkehrsbetrieben Peine Salzgitter (VPS). Elektrifiziert und mit dem HV-Signalsystem ausgestattet ist der Bahnhof ausweislich dieses sehenswerten historischen Videos seit 1975. Auch die Stellwerkstechnik wurde im genannten Jahr erneuert und das alte Stellwerk dem Verfall preisgegeben. Auch der Schienenfahrzeughersteller ALSTOM nutzt den Übergabebahnhof für die Auslieferung seiner Fahrzeuge. In die Schlagzeilen geriet der Bahnhof vor einigen Jahren, da hier für Atommüll für die Einlagerung in Schacht Konrad übergeben werden soll.
Norden
Die ganze Anlage ist höchst interessant, so dass bei der nächsten Besichtigung im Sommer 2019 der Hund nebst Ehefrau zum Einsatz kam. Und was fanden wir: Nagelneue ALSTOM-Triebwagen für das bedürftige Schwabenland.
Unsere Nachforschungen brachten ziemlich schnell den Sicherheitsdienst auf den Plan. Immerhin stehen eine Menge Schilder herum, die Unbefugten das Betreten des Geländes nicht unbedingt nahelegen. Nur sind diese Schilder, dem Qualitätsstandard der DB-Netz folgend, in schlechtem Zustand und nur schwer leserlich. Die Mitarbeiterin zeigte sich dann auch eher an unserem Hund interessiert. Ist ja auch ein sympathischer Kerl. Außerdem: Was soll ich mit einem Schienenfahrzeug im Garten, der nicht mal einen Gleisanschluss hat.
Auf diese Weise kam ein neues Revier für lange Hundespaziergänge in unser Repertoire. Man will ja nicht ständig in die selben Vorgärten kucken.
Süden
Wo es ein Norden gibt, da ist auch ein Süden. Da man als Betriebsfremder von der einen nicht direkt auf die andere Seite Richtung VW Salzgitter und den Stahlwerken kommt, ohne als „Personen im Gleis“ zu enden, mussten wir den Bahnhof von der anderen Seite aufrollen. Eine Möglichkeit ist, von der Anschlussstelle Salzgitter Thiede aus Richtung VW zu fahren und am Sportplatz rechts auf den Parkplatz abzubiegen. Von hier aus gelangt man am Kleingarten vorbei (Spezialität: Kleintierzucht (!?)) auf der ehemaligen Kursbuchstrecke 206 zum Übergabebahnhof Beddingen.
Geht man bis zum kleinen Wald durch, umrundet man den Kleingartenverein und sieht Reste der ehemaligen Bahnstrecke von Wolfenbüttel (heute unbefestigter Weg) und die Brücke der A39 vom Abzweig Stahlwerk bzw. VW aus.
Ist man unter der Brücke durch, hat man unbemerkt den ehemaligen Haltepunkt Steterburg rechts liegen lassen und bewegt sich oberhalb der Gleise rechts auf einen Feldweg in Richtung Übergabebahnhof.
Das Wetter war an diesem Tag eher mies – also zurück Richtung Wüstung Steder. Auf diesem Weg entdeckt man eine etwas exotische Signalkombination:
Wenn man sich die Angelegenheit genauer ansieht, stellt man fest, dass das Schutzsignal unten nur den Begriff Sh1 (Rangierfahrt erlaubt) anzeigen kann.
Nicht gesucht und trotzdem gefunden
Zurück am Ausgangspunkt der Begehung der südlichen Beddinger Eisenbahnhinfrastruktur, am Parkplatz an der Gemarkung Wüstung Steder, trifft man auf eine morbide Szenerie. Auf dem Parkplatz am Sportplatz Steterburg steht ein dem Verfall preisgegebener Gebäudekomplex, der zu der Zeit um das Jahr 2000, als ich öfter über Thiede zu VW fuhr , ganz proper aussah und offensichtlich auch benutzt wurde. Auf jeden Fall war es wert, der Sache einmal nachzugehen. Ergebnis: Hier existierte einst das Vereinsgelände des Sportvereins „Rot Weiß Steterburg“ von 1941. Nach der Insolvenz um 2011 kümmert sich niemand mehr um das Gelände samt Nachlass – eine traurige Geschichte und hier dokumentiert.
Zurück am Ausgangspunkt der Begehung der südlichen Beddinger Eisenbahnhinfrastruktur, am Parkplatz an der Gemarkung Wüstung Steder, trifft man auf eine morbide Szenerie. Auf dem Parkplatz am Sportplatz Steterburg steht ein dem Verfall preisgegebener Gebäudekomplex, der zu der Zeit um das Jahr 2000, als ich öfter über Thiede zu VW fuhr , ganz proper aussah und offensichtlich auch benutzt wurde. Auf jeden Fall war es wert, der Sache einmal nachzugehen. Ergebnis: Hier existierte einst das Vereinsgelände des Sportvereins „Rot Weiß Steterburg“ von 1941. Nach der Insolvenz um 2011 kümmert sich niemand mehr um das Gelände samt Nachlass – eine traurige Geschichte und hier dokumentiert.
Das vorläufige Ende
Ein Hund spart den teuren Ausflug in entfernte Gebiete, wie etwa Harz oder Elm 😉 Man entdeckt in der direkten Nachbarschaft interessante Gegenden, die erkundet werden wollen. Die Industriegeschichte in der Braunschweiger Region ist voller unterbelichteter Artefakte.
Mehr erfahren?
Carsten Watsack: Verkehrsbetriebe Peine-Salzgitter. Von den Anfängen bis zur Gegenwart.
Wikipedia: Reichswerke Hermann Göring
Wikipedia: Verkehrsbetriebe Peine-Salzgitter
Philipp Herrlich: Stillgelegte Bahnstrecken in Niedersachsen. Beddingen-Wolfenbüttel
Quellen zur Ortsgeschichte Steterburgs: Rot-Weiß Steterburg
Bearbeitungsstand: 29.06.2023
Text, Fotos und Grafiken: Carsten Böger und openstreetmap.org