Fast alles neu: Der Bahnhof Rötgesbüttel

Auf der Kursbuchstrecke 115, der umgangssprachlich sogenannten“Mühlenbahn“ zwischen Wieren und Braunschweig, geht es eher beschaulich zu. Güterverkehr findet kaum noch statt, die Technik stammt oft noch aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Da und dort passiert dann doch etwas Neues, wenn auch nach der Methode „Flickenteppich“. Immerhin gibt es inzwischen einen Stundentakt für den Personenverkehr auf der Strecke. Voraussetzung hierfür war die Ertüchtigung des Bahnhofs Rötgesbüttel, was einem Neubau gleichkam. Die Eröffnung fand Ende 2020 pandemiebedingt in kleinem Kreise statt. Grund für eine Ortsbegehung.

Natürlich war schon vorher jemand anderes da. Auch existieren andere Webseiten mit profundem Inhalt – siehe spätestens unten in der Linksammlung. Hier geht es um Details, die bisher noch nicht betrachtet wurden.

Aufmerksam wurde ich auf den neuen Bahnhof durch den Youtube-Kanal von Gustav Richard. Hier wird man fundiert bahnhistorisch aufgegleist. Früher gab es in Rötgesbüttel mal einen echten Bahnhof mit allem Zubehör wie einem Güter- und Kreuzungsgleis, bis man sich in den 70er/80er-Jahren der politisch überflüssig gemachten Infrastruktur entledigte.

Ausschnitte aus dem Video: Durchfahrt durch den Bahnhof Rötgesbüttel

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…bis zu dem Zeitpunkt, an dem man merkte, dass man auf nicht mehr vorhandenen Kreuzungsbahnhöfen keinen Stundentakt hinbekommt, nachdem man auch das Stellwerk in Meine in einen Kindergarten verwandelt und Wenden-Bechtsbüttel von „überflüssigem“ Gleismaterial, wie dem Anschluss zum Kreuzungsgleis, befreit hatte.

Zur Jahrtausendwende wurde anlässlich der Expo 2000 massiv in den ÖPNV in der benachbarten Region Hannover investiert. Ich erinnere mich gut an eine kommunale Sitzung, in der man erklärte: „Wenn erst mal die EXPO vorbei ist, dann sind die Braunschweiger dran“. Was wurde nicht alles geplant, was dann alles angeblich nicht ging: Eine Regionalstadtbahn für Braunschweig, mit der mehr aus der Provinz direkt auf DB-Strecken über eine dritte Trambahnschiene mit einem Hybridtriebwagen in die Innenstadt hätte fahren können – oder: die Wiederinbetriebnahme der Strecke nach Harvesse mit Verlängerung über einen neu errichteten Turmbahnhof Plockhorst nach Celle. Geht alles angeblich nicht oder ist zu teuer – oder eher wahrscheinlich: will man im vorauseilendem politischen Gehorsam gegenüber dem benachbarten VW-Konzern nicht.

„Bereits“ 2020 war es dann soweit: Die neuen Schienenpersonennahverkehr-Zukunft beginnt: Das zweite Gleis auf der Weddeler Schleife kommt – und die Kursbuchstrecke 115 bekam eine elektronisches Stellwerk (ESTW) in Rötgesbüttel mit quasi einem nigelnagelneuen Kreuzungsbahnhof.

Der Beitrag von Gustav Richard erklärt alles Wissenswerte. Er ist auch bei der Kreuzung in Rötgesbüttel ausgestiegen und hat das direkte Bahnhofsumfeld erkundet. Hier noch einige Entdeckungen im Rahmen meiner Ortsbegehung am 31. Mai 2021:

Kastenkunst: ESTW Bechtsbüttel

Das Bild zeigt die Schaltschrankphalanx und das Häuschen für das ESTW am Bahnhof Rötgesbüttel. Ferngesteuert oder überwacht wird vom südlich gelegenen Stellwerk Wenden-Bechtsbüttel aus, wo ein kleinerer Kasten vor der Nase des dortigen Fahrdienstleiters steht. Im Hintergrund rechts ist hinter den Bäumen der rote Ziegelgiebel des ehemaligen Bahnhofs-Empfangsgebäudes zu erkennen, das sich seit Jahren in einem zweifelhaften Zustand und in Privatbesitz befindet.

ASIG auf dem Kreuzungsgleis Richtung Süden Fehlanzeige

Wie schon von Gustav Richard in seinem YouTube-Video erwähnt, gibt es am Ende 2020 neu errichteten Bahnhof Rötgesbüttel einige Besonderheiten: So fehlt am Kreuzungsgleis Richtung Süden das Ausfahrtssignal (ASig). Das heißt: Der aus Richtung Gifhorn (Norden) einfahrende Zug muss bei einer fahrplanmäßigen Kreuzung auf das Durchfahrtgleis einfahren. Landet er, aus welchen Gründen auch immer, auf dem Kreuzungsgleis, entsteht ein undefinierter Zustand, der sich nur mit schriftlichem Befehl aus Wenden-Bechtsbüttel auflösen lässt. Als einzigen Grund hierfür lässt sich die Knauserigkeit der DB-Netz vermuten, was schade ist. Man hätte hier doch mal zeigen können wie man es richtig macht. Das Bild zeigt die Rückseite des ASigs auf dem Durchfahrtgleis Richtung Süden. Auf dem Kreuzungsgleis sieht man – nichts. Richtung Norden ist alles wie es sich gehört. Beide Gleise verfügen dort über jeweils ein ASig. Die Schaltungslogik wird’s richten…

Kein Anschluss unter dieser Nummer – oder: permanent zwangsgebremst

500 Hz-Magneten, wie das hier abgebildete Rötgesbütteler Exemplar auf dem Kreuzungsgleis, werden normalerweise dann aktiv geschaltet, wenn das folgende Signal rot (Hp0) zeigt. In bestimmtem Abstand südlich davor befindet sich ein ebenfalls in Abhängigkeit mit dem Signal geschalteter 1000 Hz-Magnet. Ermittelt das INDUSI-PZB-Steuergerät des Triebwagens eine zu geringe Zeit zwischen den beiden Punkten, ist die Geschwindigkeit zu hoch und die Zugelektronik löst eine Zwangsbremsung aus. Hier allerdings immer, weil die Kabelverbindung zum ESTW fehlt. Der Magnet ist also vermutlich permanent aktiv geschaltet. Also darf in der Zwischenzeit das nachfolgende Signal nicht plötzlich auf Grün (Hp1) wechseln, sonst erfolgt ein unplanmäßiger Halt vor grüner Ampel, wenn der Triebfahrzeugführer die Taste „INDUSI-frei“ nicht findet – ein auch im Straßenverkehr höchst unerfreulicher Zustand. Hier waren offensichtlich ebenfalls die Sparfüchse von DB-Netz am Werk. Ungewöhnliche Betriebsereignisse sind hier nicht vorgesehen.

Dynamisches ZS3 – immerhin…

Hier nun zeigt die DB-Netz, was sie kann. Das Bild zeigt das Einfahrtsignal (ESig) aus Richtung Süden (Braunschweig), ein Kombinationssignal, zu erkennen am gelben Dreieck – es kann also auch ein reines Vorsignal sein. Je nachdem, ob eine Kreuzung vorgesehen ist oder nicht, zeigt die geneigte Geschwindigkeitsanzeige (ZS3) über dem Hauptschirm entweder eine höhere oder niedrigere Geschwindigkeit an (wahrscheinlich eine „6“ bei Geradeausfahrt, gleich 60 km/h, „4“ für 40 km/h bei abzweigender Weiche – oder nichts, wenn mit zulässiger Höchstgeschwindigkeit durchgefahren werden soll). Bei Geschwindigkeitsbegrenzung blinkt das Signal dann grün; wenn kein Halt vorgesehen und der nachfolgende Bahnübergang eingeschaltet (geschlossen) ist, permanent grün.

Übriggeblieben: BÜ-Überwachung – das macht jetzt das ESTW

Haltepunkte – und ein solcher war der Halt in Rötgesbüttel bis 2020 – haben normalerweise keine Signalisierung. Der Triebfahrzeugführer musste sich also vorher in seinem Fahrplan orientieren, sonst drohte eine „Wolfsburger ICE-Durchfahrt“. Da sich aber direkt hinter dem alten Empfangsgebäude ein Bahnübergang mit zugbeeinflusster Schrankenanlage befindet, musste dieser durch Bahnübergangsüberwachnungssignale „gedeckt“ werden. Das ist heute nicht mehr nötig. Das übernimmt jetzt das ESTW im Bahnhof Rötgesbüttel. Die alte Technik marodiert jetzt auf dem streckenbegleitenden Feldweg vor sich hin. Rechts oben im Bild ist mein Recherchemitarbeiter (Großspitz) zu sehen

Früher war alles besser – wirklich?

Vor dem Umbau gab es, wie bereits erwähnt, nur einen Haltepunkt vor dem alten Bahnhofsgebäude. 1976 sah das noch anders aus:

Gleisbild vor dem Rückbau und Unfallgeschehen am 12.11.1976. Quelle: „Katastrophen der deutschen Bahnen, Teil II“ von H.J. Ritzau, Pürgen 1993, freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Gustav Richard

Dort, wo sich jetzt der neue Bahnhof befindet, lagen früher das Kreuzungs- und Ladegleis. Für das dem Empfangsgebäude gegenüberliegende Gleis bzw. den Seitenbahnsteig war wegen der dort verlaufenden Straße kein Platz (mehr). Eine Zugkreuzung war so nur umständlich und zeitraubend mit allerlei Stellwerkerarbeit möglich – und unfallträchtig: Am 12.11.1976 kollidierte ein Richtung Braunschweig abfahrender Triebwagen bei der Ausfahrt über das ASig P2 mit „überhängenden“ Wagen eines vor Signal N2 in Richtung Gifhorn wartenden Güterzugs. Unfallursache laut Ritzau 1993 (Quellenangabe siehe Bild oben): Mangelnde Kommunikation zwischen Zug- und Triebfahrzeugführer (vulgo: Zugbegleiter, Lokführer) des Triebwagens und Überfahren eines Halt zeigenden Signals.

Fazit: Es geht voran – nur wann wird es richtig gut?

Der schienengebundene Nahverkehr (SPNV) in der Region dümpelt immer noch vergleichsweise träge vor sich hin. Was wurden nicht für Versprechungen gemacht – zum Beispiel dass die Region Braunschweig endlich ein schnelles öffentliches Nahverkehrsnetz bekommt. Bisher scheiterte das nach meiner Beobachtung an mangelndem politischen Willen der jeweiligen Landesregierung und dem Unvermögen der Kommunalpolitiker, insbesondere denen der die Stadt Braunschweig umgebenden Landkreise. Neben dem aus strukturellen Gründen stets leerem Geldbeutel ist es weiterhin die Kirchturmperspektive, die einen gemeinschaftlichen Fortschritt verhindert. Da sind es dann engagierte Kommunalpolitiker, die wenigstens kleine Fortschritte anstoßen. Der Umbau des Bahnhof Rötgesbüttel ist ein Beleg dafür. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang der im selben Video ein paar Minuten später kurz gezeigte Umbau des Bahnhofsbereiches in Braunschweig-Gliesmarode und die geplante Reaktivierung ehemaliger Stadteilbahnhöfe an den nach Braunschweig führenden Bahnstrecken. Stand 2023 sind letztgenannte Projekte aber noch immer in der Vorplanungsphase und weit von der Planfeststellung entfernt.

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Weitere Bahnthemen

Bearbeitungsstand: 27.06.2023
Text und Bild, wenn nicht anders angegeben: Carsten Böger