Eine wahrlich kraftvolle Aufführung eines Ausnahmewerks
von Carsten Böger
Die Helmstedter Bachkantorei und die Camerata Instrumentale in Berlin präsentierten das selten aufgeführte Werk auf überzeugende Weise…
Das war eine reife Leistung und das erste große Konzert der Bachkantorei nach den coronabedingten Einschränkungen. Geradezu mitreißend geriet diese Aufführung…
So könnte eine Kritik in der Braunschweiger Zeitung begonnen haben, wenn denn die Lokalredaktion einen Kritiker geschickt hätte – hatte sie aber nicht. Daher hier einige persönliche Gedanken aus Teilnehmersicht.
Nach der langen Coronapause 2020/21 mit den Nachwehen 2022 haben sich viele in der Chorszene gefragt, ob und wie es nun weitergehen kann. Viele Ensembles hatten sich aufgelöst oder haben sich derartig dezimiert, dass ein echter Konzertbetrieb unmöglich wurde. Kurze Zeit ging auch in der Helmstedter Bachkantorei die Sorge um, dass niemals wieder eine Besetzung auf der Bühne stehen würde, die große Oratorien zur Aufführung bringen kann. In der Tat hatten viele Mitglieder den Chor, wenn auch wohl eher aus Altersgründen, verlassen. Die Frage nach dem Sinn des des Weitermachens stellte sich aber nur kurz. Die Mitglieder des Beirates wie auch unser Propsteikantor Mathias Michaely entschieden sich, aus der neuen Situation das Beste zu machen – und das, was am ersten Julisonntag 2023 zur Aufführung kam war mit das Beste, was dieses Ensemble in den vergangenen Jahren vollbracht hat. Aus den Vielen, die sich früher auf unser Chorpodium gedrängt hatten wurde eine locker aufgestellte engagierte Kleinbesetzung. Man spürte bereits in der Vorbereitung einen neuen Spirit des gemeinsam Musizierens und die Überzeugung, dass jeder Einzelne für den Erfolg wichtig ist. Die reguläre Probenarbeit verlief konzentriert und lieferte die Basis für die Veredelung auf dem Chorwochenende in Seevetal Ende Juni 2023.
Großen Anteil an dem Erfolg der Aufführung hatte unser „Stammorchester“ Camerata Instrumentale aus Berlin. Zur Generalprobe zeigten sich alle Musikerinnen und Musiker professionell vorbereitet und engagiert bei der Sache – so, wie man es bei anderen professionellen Orchestern aus der Region gerne immer hätte. Auf dem Podium war Platz zur Entfaltung, unsere eigene Vorbereitung gut gelungen. Die Generalprobe verlief reibungslos, was unter abergläubigen Mitstreiterinnen und Mitstreitern normalerweise als kein gutes Zeichen für die Aufführung gewertet wird. Aber diese geriet fulminant! (Fast) alle Einsätze klappten, alle waren auf dem Posten und folgten dem Dirigat unseres künstlerischen Leiters. Die Solistinnen und Solisten brillierten und das Publikum war sichtlich bewegt. Unser „Chef“ zeigte sich dann nach Aufführung sehr zufrieden und spendiert jedem Mitglied eine Aufnahme auf Tonträger als Erinnerung an dieses große Erlebnis.
Werkbeschreibung
von Mathias Michaely
Die Große Messe in c-Moll von Wolfgang Amadeus Mozart, KV 427, entstand 1782 und ist, obwohl unvollendet, eine der herausragenden Messvertonungen der europäischen Musikgeschichte. Die Bezeichnung „Große Messe“ ist ein späteres Attribut. Formal gehört das Werk zum Typus der Missa solemnis. Die c-Moll-Messe ist ein Monumentalwerk, das den Rahmen der bisherigen Messkompositionen Mozarts sprengte. In jenen Jahren setzte sich Mozart mit den Werken Johann Sebastian Bachs auseinander, die er durch die Vermittlung des Baron Gottfried van Swieten kennenlernte und die eine schöpferische Krise und Überwindung dieser Krise bei Mozart auslösten. Nicht nur Bach steht hinter diesem Werk. Die Italiener des 18. Jahrhunderts erscheinen gleichfalls transfiguriert. Die Fugen am Ende des Gloria und des Sanctus zeigen, in welch hohem Maße Mozart den kontrapunktischen Stil mit eigenem Geist erfüllt hat. Die Große Messe in c-Moll ist Mozarts ehrgeizigste Komposition in dieser Gattung.
Wie sein großes letztes kirchenmusikalisches Werk, das Requiem KV 626, ist auch die Große Messe in c-Moll ein Torso geblieben und wurde von Mozart nicht vollendet. Weite Strecken des Credo und das ganze Agnus Dei fehlen.
Jedenfalls bleibt festzuhalten, dass diese Komposition neben Mozarts 17 bekannten Messen, der Spatzenmesse, der Waisenhausmesse, der Krönungsmesse und allen anderen Stücken, die früher als Auftragswerke für den Salzburger Dom entstanden sind, eine Sonderstellung einnimmt.
Der Berliner Komponist Prof. Heribert Breuer hat nun den Torso vollendet, indem er ein Agnus Dei nach dem Vorbild von Mozarts etwa gleichzeitig entstandener „Maurerischen Trauermusik“ hinzufügte. Er sagt dazu, dass eine Messe nicht mit einem „Osanna“ enden kann, sondern das abschließende „Agnus Dei“ mit der Bitte um Frieden als Gegengewicht zum einleitenden „Kyrie eleison“ absolut dazugehört. Das ist auch im Hinblick auf unsere ganz aktuelle Situation ein wichtiger Aspekt. Diese Ergänzung mit Mozartschem Material ist dem Stück so nahe und passt proportional so ideal dazu, dass hier eine einzigartige Symbiose entstanden ist. Mozarts größte und dichteste Messkomposition kann endlich in einer vollendeten und würdigen Form zur Aufführung gelangen.